Die freien Tage vor Ostern (hier leider nur eine
Woche) nutzten alle Freiwilligen zum Verreisen, viele bekamen auch
Besuch aus Deutschland. Übrig blieben Johanna und ich, und so
entschieden wir zwei Tage imVoraus, nach Medellín zu fahren. Das war
eine sehr gute Entscheidung. Medellín ist eine große und moderne
Stadt, die den Kampf gegen die Drogenkartelle gewonnen hat und nun
als sicher und touristisch gilt. Das kann ich nur bestätigen.
Tatsächlich überlege ich seit ein paar Tagen, ob ich nicht ein
Semester lang dort studieren könnte.
Aussicht auf das grüne Medellín von der Metro-Station aus. |
Wir fuhren über Nacht mit dem Bus, der
zwar eine obligatorische Panne hatte und eine Stunde herumstand, aber
das störte keinen, wir schliefen einfach weiter.
Morgens um zehn kamen wir in unserem
Hostel an, dem Buddha Hostel.
Der Name ist Programm. Es liegt in einer ruhigen, familiären und
unglaublich grünen Wohngegend namens Laureles und ich habe mich
sofort in dieses Viertel verliebt. Das Hostel hat einen gemütlichen
Garten/Innenhof mit viel Grün, einem Koiteich und einer Hängematte.
Außerdem macht einer der total gechillten Mitarbeiter manchmal
einfach so Kaffee und verteilt den an die Gäste.
Wir waren begeistert.
Gemeinsames Hobby: Cafés ausprobieren. Und Kaffee auch. |
Medellín hat eine sehr gut ausgebaute morderne Metro (die über der Stadt verläuft), welche wir viel nutzten. |
Nachdem wir uns in einem Café
Frühstück gegönnt hatten und uns aufgefallen war, dass hier alle
extrem sportlich herumlaufen, marschierten wir die zwanzig Minuten
zur nächsten Metro-Station (die ruhige Lage hat ihren Preis) und
fuhren ins Zentrum, um uns (spanischsprachige) Bücher zu kaufen.
Diese lasen wir anschließend in dem Botanischen Garten Medellíns.
Der Eintritt ist kostenlos und der Garten/Park wirklich einzigartig
schön! In Deutschland könnte man so etwas nur unter einem
gigantischen Gewächshaus finden, aber Medellín wird auch 'die Stadt
des ewigen Frühlings' genannt, das bedeutet ganzjährige
Temperaturen zwischen 18-28°C. Zwei Mal wurden wir von unserem
gemütlichen Leseplatz direkt am See verscheucht. Zuerst wurden wir
beinahe von einer pampelmusengroßen namenlos bleibenden Frucht
erschlagen, die vom Baum fiel. Dann näherte sich auch noch ein
riesiger Leguan. Das war Johanna zu viel. Wir nahmen Reißaus.
Leguane und exotische Früchte zusammen
mit der Szenerie der dunkelgrünen Dschungelpflanzen fühlten sich
fast nach Amazonas an und wir beide fanden es nicht mehr ganz so
schlimm, nicht in den Südzipfel Kolumbiens zu reisen, wo man den
richtigen Amazonasregenwald erleben kann.
Regenwald absolut. |
Am Montag besuchten wir das Museum
Antioquias, in dem man vor allem Skulpturen und Bilder des berühmten
kolumbianischen Künstlers Fernando
Botero bewundern kann. Beeindruckend fanden wir auch, wie viele der
restlichen Ausstellungsgegenständen von Botero selbst gestiftet
wurden.
Falls ihr Botero nicht kennt: das ist
der, der immer diese dicken schwarzen Figuren gemacht hat. Und eine
Affinität für minimalistische Namensgebung an den Tag legte. Sah
man die Skulptur einer Frau, so hieß diese „La Mujer“. War es
ein Mann, eben „El Hombre“. Das Bild einer kolumbianischen
Familie, „La Familia Colombiana“. Stillleben mit Essen,
„Naturaleza Muerta“. Auch interessant, dass Stillleben auf
Spanisch 'Tote Natur' heißt.
Fantastischer Innenhof des Museums. |
Mein Favorit. Bin mir ziemlich sicher, dass es sich "El pájaro" nannte. |
Nach so viel Kultur mussten Johanna und
ich erst einmal wieder einen Kaffee trinken. Direkt am Plaza hatte
man viel zu sehen, also hielt ich das selbstverständlich
fotografisch fest. Bitteschön.
Auf dem Plaza (de Botero) findet man mindestens so viele Skulpturen wie im Museu.m |
We all need sunglasses! |
Der dritte Tag brachte einen Ausflug in
Richtung eines Dorfes mit dem wohlklingenden Namen Guatapé mit sich.
Wir stiegen jedoch kurz vorher aus dem Bus, um 'den Stein' zu
erklimmen. 'Der Stein' heißt im Original natürlich „La Piedra“
und ist tatsächlich nichts weiter als ein 200m riesiger schwarzer
Stein. Er sei durch einen Vulkanausbruch entstanden und heutzutage
führen über 700 Treppenstufen auf das
22-Millionen-Kubikmeter-Monstrum. Witzig ist, wie überall schwer
atmende Leute die Stufen blockieren und Pause machen. Nicht, dass wir
nicht auch welche von ihnen gewesen wären.
Die Aussicht von ganz oben ist
fan-tas-tisch. Ringsherum ein zerstückelter Fluss oder ein See,
keine Ahnung, ist jedenfalls schön. Überall Wasser und kleine grüne
Inselchen darin. Die beliebteste Beschäftigung der Menschen auf dem
Berg ist, sich eine der unzähligen Villen unten auszusuchen.
Johanna und ich wissen jetzt natürlich
auch schon, welche wir uns kaufen werden, wenn wir reich und berühmt
sind.
La Piedra. |
Der krasse Aufstieg. |
Aussicht auf Guatapé |
Und wieder runter. |
Unser letzter Tag brach früh an, denn
wir hatten uns für eine Pablo Escobar-Tour eingetragen. Medellín
war nämlich seine Heimatstadt.
Noe ist Tourguide mit Taxi, und
gemeinsam mit zwei Australiern kutschierte er uns drei Stunden lang
quer durch seine Stadt und erzählte uns die Geschichte Escobars. Das
allererste was er zu uns sagte war, dass er absolut nichts Positives
über den Herrn erzählen würde, und daran hielt er sich auch.
Zuerst ging es zu einem Bürogebäude mit dem Namen 'Dallas',
das Pablo Escobar zur Demonstration seines Reichtums bauen ließ und
welches momentan zu einem Hotel umfunktioniert wird. Man kann immer
noch sehen, wo seine Feinde („Los Pepes“) eine Bombe platzierten,
um ihm ein Zeichen zu senden. Sie wollten sagen 'Wir werden dich
finden, und wir werden dich töten'. Genau das hatte Escobar nämlich
auch mit ihnen vor, nachdem sie ehemals für ihn gearbeitet hatten.
Normal bei den Drogenleuten.
Außerdem zu beachten: Der Name des
Gebäudes. Wir alle kennen die Serie 'Dallas'
wenigstens vom Hörensagen, es geht um eine reiche und einflussreiche
Familie. Mit diesem Bürogebäude in einem der besten Viertel der
Stadt wollte Pablo sich und seine Familie also auf eine Stufe mit der
Serienfamilie Ewing stellen.
Weiter ging es zu zwei Einkaufszentren.
Die Geschichte dazu geht so: Ein paar 'gute' Männer wollten ein
Einkaufszentrum für die Bewohner der Stadt bauen, denn so etwas gab
es bis dahin in der Form noch nicht. Escobar bekam davon Wind und
wollte Investor werden. Die Männer lehnten dankend ab, sie hätten
bereits all das nötige Geld beisammen. Das konnte der Drogenbaron
natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Was machte er also? Er baute
sein eigenes Einkaufszentrum, aber größer und besser, und das
direkt gegenüber des anderen. Wie ein eingeschnapptes Kind.
Glücklicherweise konnte er es nie
fertigstellen, da ihm mitten im Bauprozess seine Gebäude und
Bankkonten von der Regierung abgenommen wurden. Inzwischen hat diese
das umstrittene Gebäude fertiggestellt, und es liegt immernoch
gegenüber des ebenfalls fertiggestellten anderen Einkaufszentrums.
Nun ist jedoch das andere größer, es wurde erweitert.
Das Taxi fuhr ein bisschen weiter, um
uns an einen ruhigen religiösen Ort mitten an einer großen
Straßenkreuzung zu bringen. Hier hatte die Stadt eine Statue der
Jungfrau Maria gebaut, damit die (natürlich katholischen) Bewohner
einen Ort zum Beten und zur Darbringung ihres Dankes hatten. Es war
und ist nämlich üblich, eine kleine Steintafel mit einem Satz des
Dankes dort zu lassen. Etwas wie „Danke Maria, dass du unsere
Gebete erhört hast“.
Nun befand sich diese Statue ganz in
der Nähe der Wohngegend der tatsächlich sehr gläubigen Schergen
Escobars. Sie kamen also ebenfalls des Öfteren vorbei, beteten und
bedankten sich mit einer Steintafel. Bloß stand auf diesen Tafeln
denkbar Krasses drauf, bedenkt man, womit sie ihr Brot machten, und
schon bald kamen die 'normalen' Leute nicht mehr an diesen Ort. Für
über zehn Jahre war der eigentlich für alle gedachte heilige Ort
eine Demonstration des Denkens und Handelns der verrückten
Handlanger und
Helfershelfer.
Erst nach langer Zeit entfernte man die
entwürdigenden Tafeln und ließ einen Pastor erneut einen Segen
sprechen. Heutzutage ist der kleine Platz wieder ein Ort friedlicher
Stille mitten im Stadttrubel.
Das für mich Beeindruckendste zeigte
uns Noe danach. Im besten Viertel Medellíns liegt der exklusivsten
„Social Club“ (ich bin ja gegen Anglizismen, aber Freizeitgruppe
trifft es irgendwie nicht) der Stadt. In diesem wollte Pablo Escobar
unbedingt Mitglied werden. Aus nicht ganz unverständlichen Gründen
wollte der Club das jedoch nicht. Was machte Pablo also? Er baute
sich ein riesiges Wohnhaus gegenüber des Clubs. Es hatte fünf
Stockwerke, zwei Pools, ein Basketballfeld und vor allem seinen Namen
vorne drauf gepinselt, sodass alle Clubbesucher ihn unvermeidlich
immer vor Augen hatten. Er nannte seinen neuen Wohnsitz 'Monaco'.
Unserem kleinen Grüppchen wurde das
Privileg zuteil, das verlassene Haus erkunden zu dürfen. Im
Erdgeschoss (Keller gibt es hier meistens nicht) befand sich das
Parkhaus für ein paar von Pablos 45 Autos. Auch seine 23 Fahrräder
fanden wohl dort Platz.
Pablo Escobars Haus. Ich finde es nicht besonders hübsch, aber damals war das so wohl modern. |
Eingang. |
Riesige private Garage. |
Die erste Etage diente als Unterkunft
für seine Bodyguards, in der zweiten befand sich seine Kunstsammlung
(eine ganze Etage nur für Kunst!), auf der dritten wohnte seine
Familie, wenn sie ihn ab und zu besuchen kam und die zwei oberen
Geschosse gehörten Escobar selbst. Da oben befand sich auf der
Terrasse ein Pool. Die Küche fiel recht klein aus, und Noe erklärte
uns auch sofort, warum. Fast jede Mahlzeit wurde aus den nobelsten
Restaurants angeliefert, da brauchte man die Küche eher wenig. Im
nächsten Zimmer durften wir auch den (inzwischen leider leeren) Safe
bewundern. Dieser war so riesig wie ein kleines Zimmer und angeblich
bewahrte Escobar dort ausschließlich Gold und Diamanten auf. Wer
hat, der hat halt.
Bewohnbarer Safe. |
Aussicht auf den Club. |
Aber ganz ehrlich, kann man es ihnen
übel nehmen?
Das Haus war definitiv das Highlight
unserer Tour.
Wir bekamen außerdem den Eindruck,
dass der Mann alle seine Probleme mit dem Bauen von großen Gebäuden
lösen wollte. Sein Gefängnis durfte er sich ja auch selber bauen.
Im Anschluss an das Haus „Monaco“
besuchten wir noch kurz den Friedhof, auf dem Escobar und ein Teil
seiner Familie liegen (seine Frau und Kinder führen ein
unbeschwertes Leben in Argentinien), und schlossen dort ab, wo eine
bewaffnete Einheit seinem Leben ein Ende machte.
Das war so: Pablo wurde verfolgt. Er
versteckte sich einige Wochen in einem unscheinbaren Häuschen in
einem schönen ruhigen Wohnviertel. Keiner der Bewohner wusste
überhaupt von seiner Anwesenheit. Bis er an dem Tag, der sein
letzter sein sollte, zwei Fehler begang – er rief seinen Sohn an.
Zwei Mal. Dies war mehr als genug, um ihn genau orten zu können und
sofort war das Haus komplett umstellt und auch ein Helikopter kreiste
darüber. In einem verzweifelten Fluchtversuch kletterte er auf das
Dach des Häuschens, sprang auf das nächste und wollte wohl von dort
auf die Straße. Da waren natürlich schon Soldaten. Also versuchte
er, auf das nächste Haus zu springen. Dort kam er nie an.
Zu diesem Szenario gibt übrigens es
ein sehr berühmtes Bild von Botero, welches Johanna und ich
natürlich auch im Museum gesehen haben.
Das Ende Escobars. |
Wie man vielleicht an der Länge dieser
Beschreibung unserer Tour merkt, haben mich diese drei Stunden sehr
beeindruckt. Jedoch ist Pablo Escobar heutzutage eine Figur der
Vergangenheit und im alltäglichen Leben des
Durchschnittskolumbianers spielt er keine Rolle.
Nur in den Vorurteilen unwissender Ausländer*innen.
Johanna und ich rundeten den Tag mit
ordentlichem Geldrausschmeißen in einem riesigen Einkaufszentrum ab.
Nachts ging es dann im Bus zurück nach Bogotá, morgens nach Tunja
und für mich weiter nach Cucaita.
Heute geht die Schule wieder los.
~ Wort des Tages: „echaopalante“.
Findet man in keinem Wörterbuch, da es eine Verschmelzung der drei
Wörter „echado para adelante“ ist. Wörtlich will uns das sagen,
dass jemand 'für voraus gemacht' ist. Also fleißig, arbeitsam.
Hasta luego,
Karla