Ostern in
Lettland
An Ostersonntag
saßen Anete und ich geteilten Leides in einem Café und schrieben Essays. Anete
ist eine meiner lettischen Mitbewohnerinnen und die einzige, die für die
Ostertage nicht zu ihren Eltern nach Hause gefahren war. Sie hatte das bereits
im Vorhinein erledigt und zwei gefüllte Eierkartons mitgebracht. So saßen wir
abends in der Küche und veranstalteten unsere eigene kleine Osterfeier: Wir
kochten und färbten vier Eier, ließen sie gegeneinander antreten und aßen sie
anschließend auf. Die Letten färben noch ganz naturverbunden, ohne gekauftes
Chemiezeugs. Mit Blättern und Blüten werden Formen auf die Eier projiziert.
Wie? Indem diese mit dünnen Stofftüchern auf den Eiern festgebunden werden. Der
nächste Schritt ist das Kochen in farbigem Wasser. Wie wird das Wasser farbig?
Mit Zwiebelschalen! Eigentlich sammelt man monatelang die übriggebliebenen
Zwiebelschalen, sodass ein richtig schön färbender Sud entsteht – mangels
dessen wurde unsere Eier nicht ganz so beeindruckend. Trotzdem konnten wir beim
Auspacken Muster entdecken.
Es folgte der
Eierkampf: Dazu wählt jede Person einen Kandidaten (=ein Ei). Die Kandidaten
treten gegeneinander an, indem die Teilnehmer sie einfach aufeinander hauen.
Überlebendes Ei = gewinnendes Ei.
Das anschließende
Aufessen bedarf nicht viel Erklärung. Nur einer: Es ist wichtig, dass das Ei
mit Salz gegessen wird, sonst folgt Unglück bis zum nächsten Osterfest.
Ich war und bin
begeistert von der hiesigen naturverbundenen Art, Eier zu färben. Keine
unnötige Verschwendung, stattdessen Wiederverwertung von Ressourcen.
Eierfärben: Start. |
Ostereier einpacken und Weißwein. |
In Zwiebelsud kochen. |
Das Endergebnis (mit mehr Zwiebeln wären sie röter geworden). |
9. Mai
Die Russen feiern
ihn, die Letten nicht. Am 9. Mai konnte man deutlicher als sonst die
russischstämmige von der lettischen Bevölkerung unterscheiden. Auf Uzvaras bulvāris (Übersetzung:
Triumph-Boulevard) reihten
sich die Blumenstände, sie alle verkauften rote und weiße Blumen. Sie feiern
den Tag, an dem die Sowjetunion den Sieg über das Deutsche Reich errang. Bloß,
dass es hier eher wirkt, wie eine Feier des Russischseins an sich. Meine
lettischen Mitbewohnerinnen verstehen das Trara nicht: „Es wird nur als Vorwand
für einen weiteren Tag des Feierns genommen. Die meisten hier haben doch keine
Ahnung mehr vom Krieg.“ Für Letten markiert der 9. Mai lediglich den Wechsel
einer Okkupationsmacht zur nächsten. Nichts, das man feiern würde.
Am Montag, den 4.
März, um ein Uhr morgens, ging es los. Oh ja: ein Uhr morgens. Ich hatte einen stinknormalen Reisebus erwartet,
fand mich aber zum Unbehagen meines Rückens in einem 20-Personen-Minibus
wieder. In solchen Dingern bin ich in Kolumbien vielleicht mal von Tunja nach
Cucaita gefahren (17 km). Jetzt also von Lettland in den Norden Finnlands (1200
km). Der Bus war bis auf den letzten Platz belegt – 100 % Kapazitätsauslastung,
ein betriebswirtschaftlicher Traum. Um zu meinem Platz ganz ganz hinten zu
gelangen, durfte ich meine Bergziegenfähigkeiten auspacken und über Hügel aus
Gepäck und Proviant klettern. Einen wirklichen Kofferraum gab es nämlich nicht,
und die 16 Spanier hatten gepackt wie für eine Antarktisexpedi… Wobei, das war
ja angemessen.
Los ging’s, jetzt
aber wirklich. Nach Tallinn. Um sechs Uhr morgens nahmen wir von dort die Fähre
nach Helsinki. Und dann hatten wir erst einmal den ganzen Tag Zeit, Helsinki zu
erkunden. Ich fand die Stadt recht enttäuschend – von so einem coolen Namen
hätte ich einen spannenderen Auftritt erwartet. Ich lief mit zwei Französinnen
und einer Italienerin herum und guckte mir die drei sehenswürdigen
Sehenswürdigkeiten an, die Helsinki eben hat. Ich muss zu der Stadt anmerken,
dass wir wirklich unangenehmes Wetter hatten. Im Sommer macht Helsinki bestimmt
einen schöneren und lebhafteren Eindruck.
Völlig fertig
saßen wir abends wieder im Büsschen. Wir fuhren die Nacht durch in den Norden.
In der Nähe von
Rovaniemi (Lapplands Hauptstadt) machten wir am Dienstagmorgen den ersten
großen Halt: Santa Claus Village erwartete uns. Ein wunderhübsches
Winterdörfchen, das aber nur für die Touristen existiert. Alles hier kostet
Geld. Rentierschlitten fahren, ein Foto mit dem „echten“ Santa Claus machen,
Stempel im Reisepass, Rentierburger essen, Andenken kaufen, Karten vom
Weihnachtsmann verschicken. Nett anzusehen, aber nicht so meins.
Am Nachmittag
kamen wir endlich bei unserer Hütte an. Hütte ist schon fast degradierend, es
war ein wirklich tolles Haus. Zwei Saunen, zwei Grills, ein großer Gemeinschaftsraum,
eine riesige Küche – aber nur eineinhalb Bäder. Für 20 Personen. Sehr positiv
gedacht.
Nach ein paar
Minütchen des Ausruhens stapfte ich mit zwei anderen los, durch ein Meter hohen
Schnee – was viel schwieriger auszuführen ist, als es sich sagt – um den
Sonnenuntergang mitzukriegen. Den Rest des Abends waren wir zu nichts mehr zu
gebrauchen. Wir suchten noch nicht einmal nach den Nordlichtern.
Mittwoch. In
Kuusamo, das ein Dorf sein soll, aber auch nur aus einer Handvoll Häusern besteht,
mieteten sich die Spanier Schneemobile und ich Skier. Zu viert probierten wir
uns im Langlauf. Mir wurde zum ersten Mal wieder warm! Super Gefühl. Warme
Hände! Und die Landschaft war auch sehr entspannend – Bäume, Schnee, Stille.
Abends grillten
wir bei -12°C, was super kuschelig war, nur der idealen Trinktemperatur des
Weins Abbruch tat. Diese Nacht machten wir uns auf die Suche nach den
Nordlichtern. Wir fanden sie nicht. Der Himmel war zwar wolkenlos, aber die
berühmten Lichter zeigten sich nur bei langer Belichtung auf der Kamera. Das
zählt nicht.
Langlauf mit Alessia. |
Sommerliche Grillstimmung. |
Donnerstag. Die
gesamte Gruppe schnürte sich Schneeschuhe an und watschelte geräuschvoll durch
den Korouma Nationalpark. Die Gegend war wirklich wunderschön; die Morgensonne malte
Streifen auf die unberührte Schneedecke und es herrschte friedliche Stille. Jedenfalls
bis unsere Truppe heranrollte. Die Schneeschuhe waren zwar mal witzig
auszuprobieren, aber keinesfalls nötig. Ohne wäre es idyllischer gewesen. Auf
der der zweistündigen Wanderung sahen wir zwei gefrorenen Wasserfälle, an denen
sich ein paar Kletterer versuchten.
Des Nachts
versuchten wir unser Glück ein letztes Mal mit den Nordlichtern, dem Aurora borealis,
dem Polarlicht. Vergebens. Unser französisch-italienisch-deutsches Quartett
lief die dunkelste, unbeleuchtetste Straße ganz weit runter und starrte
bestimmt eine Stunde lang in den Himmel. Ein paar helle Schlieren zeigten sich
am Himmel, aber das war’s. Dann muss ich eben noch einmal zurückkommen und die
Lichter besuchen.
Korouma Nationalpark. |
Karla, Nationalpark, Schneeschuhe. |
Freitag.
Aufbruch. Wir verließen unsere lieb gewonnene Hütte und fuhren zu einer Huskyfarm.
Überall Hunde! Mit der Italienerin Alessia zusammen fand ich mich in einem Schlitten
wieder, und los ging’s. Die Huskys können sehr schnell werden, aber wir hatten
anscheinend die gemütlichsten Exemplare erwischt. Dafür schauten sie sich immer
wieder zu uns um und versicherten sich, dass wir noch da waren und es uns gut
ging. Die Besitzerin all dieser (~80) Hunde lud uns danach auf eine Tasse Glögg
in ein Zelt ein. Gestärkt begaben wir uns wieder in das Büsschen, machten abends
Halt bei dem nördlichsten McDonalds der Welt in Rovaniemi, und fuhren mal
wieder die Nacht durch, nach Helsinki. Übermüdet auf Fähre nach Tallinn. Tag in
Tallinn, aber da Karla müde war und Tallin schon kannte, chillte sie hauptsächlich
in Restaurants und Cafés. Um 17:00 wieder losfahren. Irgendwann spätabends Ankunft
in Riga.
Bett.
Karla sitzt im Huskyschlitten. |
Karla und Alessia im/auf dem Huskyschlitten. |
~ Wort des Tages: „nākodne ir tagad“. Den Ausdruck hört man heute besonders oft, weil heute Freitag ist. Er wird auf dem Fridays for Future Streik gerufen. Bedeutung: „Die Zukunft ist jetzt“.
Karla
Rennende Rentiere zum Abschluss. |