Es ist stressig geworden in der kleinen baltischen
Hauptstadt Riga.
Karla schrieb gestern ihre erste Klausur (ja, nach einem Monat Uni, das macht
man hier so), kriegt viele Hausaufgaben auf und möchte zwischendurch auch mehr
von dem Land sehen. Deshalb missachtete sie die drohende Buchführungsklausur am
Montag und schloss sich am Wochenende einer 50-köpfigen Truppe aus
Erasmus-Studierenden an, um nach Latgale zu fahren (deutsch: Lettgallen, das klingt nicht so cool).
Dies ist eine seendurchzogene Region im Südosten Lettlands, nahe der Grenze zu
Weißrussland. Wir fuhren mit einem Reisebus und hielten alle halbe Stunde an,
um eine weitere Sehenswürdigkeit zu begutachten. Auf diese Weise sahen wir in
kürzester Zeit maximal viel, allerdings empfangen wir das ständige
raus-ins-Kalte und das darauffolgende im-warmen-Bus-Einnicken als äußerst
anstrengend.
Es ging los um sieben Uhr morgens, und das an einem Samstag.
Sieben. Uhr. Morgens.
Samstag.
Der erste Stopp ist im Nachhinein meine Lieblingsattraktion
geworden. Die Sonne war gerade erst aufgegangen und hing noch schwerfällig im
morgendlichen Nebel fest. Durch einen kleinen Wald liefen wir zu der Burgruine
Kokneses pils, welche an drei Seiten von den Wassern der Daugava umspült wird.
Es war ruhig, es war kalt und es war wunderhübsch. Ein paar kleine Fischerboote
dümpelten fotogen durch den Dunst.
Uns wurde leider nur eine halbe Stunde gegeben, dann scheuchte man uns wieder
in den warmen Bus. Es ging weiter zu einer Luxustankstelle, wo man uns
frühstücken ließ (bzw. war uns das Frühstück gar nicht so wichtig, viel
relevanter war der Kaffee).
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Karla mit Truppe. |
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Herbst in Lettland! |
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Stimmungsvoll! Malerisch! Zauberhaft! Atemberaubend! |
Nächster Halt: Eines der
vier Naturreservate Lettlands, das
Teiĉu dabas rezervāts.
Es
sieht einfach nur nach Wald mit echt kleinen Bäumen aus, die man von einem
windigen Aussichtturm begutachten kann. Es ist natürlich mehr als das, nämlich
wichtiger Lebensraum für zahlreiche Pflanzen- und Vogelarten inklusive Moor. Unsere
Gruppenführerin, Biologiestudentin, erzählte uns von den strengen Auflagen, die
es ihrem Land in Bezug auf Bäume gibt. Die meisten darf man nicht fällen und
das Reservat zum Beispiel wird von Menschen nicht betreten. Die Letten lieben
ihre Bäume.
Weiter geht es nach Rēzekne, einer Stadt mit angeblich über 30.000 Einwohnern. Von
denen sehen wir aber nur circa zwölf. Generell ist diese siebtgrößte Stadt des
Landes bemerkenswert klein. Wir werden für 1,5 Stunden freigelassen und gucken
uns die nächste Ruine an, dann gibt es Mittagessen. Mehr gibt es über Rēzekne leider nicht zu sagen.
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Wir klettern auf die Burgruine. |
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...oder versuchen es zumindest. |
Nun ging es richtig in
die Natur. Der Bus holperte über unasphaltierte Wege, ringsherum nur grün. Den
letzten Kilometer bestritten wir zu Fuß. Das Ziel? Ein weiterer Aussichtsturm. Ein
sehr hoher Aussichtsturm (34m), auf dem dritthöchsten.. naja, Hügel Lettlands,
dem Lielais Liepu Kalns. Zu allen Himmelsrichtungen lag uns der Nationalpark Rāznas nacionālais parks zu Füßen. Hatte ich vor fünf
Sätzen ringsherum grün gesagt? Hier
war es ringsherum grün. Überall Bäume. Ü-ber-all. Und ein obligatorischer See.
Ich wurde ja vor Lettlands krasser Natur gewarnt, aber diese quantitative
Überlegenheit der Pflanzen über Menschen beeindruckte mich. Über die Hälfte des
lettischen Territoriums besteht aus Wald.
Als wir mit dem Bus weiterfuhren, schaute ich etwas aufmerksamer aus dem
Fenster. Die Landschaft ist geprägt von Seen, Schrebergärtchen, saftig grünen
Wiesen und fast keinen Kühen. Die Häuser sind höchstens zweistöckig und oft aus
Holz.
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Bäume, überall Bäume. |
Und wieder guckten wir
uns eine Burgruine an. Diesmal in dem Städtchen Ludza, welches ich mir gerne
näher angeschaut hätte, aber die Zeit war gegen uns und der Sonnenuntergang
nahte. Das besonders Schöne hier waren wieder die zahlreichen Seen, meiner
Meinung nach. Es gibt so viele davon, dass den Letten anscheinend die Namen
ausgehen. Den großen See östlich der Stadt nannten sie einfach nur Lielais Ludzas ezers – „großer
Ludza-See“. Und ja, es gibt auch noch den Mazais
Ludzas ezers – den kleinen Ludza-See.
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Die Ruine von Ludza und.. Karla. |
Es war 19:00 Uhr, als
wir endlich in unserer Bleibe ankamen. Aber was für eine Bleibe! Großzügig
verstreut lagen auf einem tipptopp gepflegten Rasen sechs Holzhütten. Direkt am
was? An einem See natürlich. Zu neunt bezogen wir eine der Hütten und bereits
eine halbe Stunde später hörte man von überall her Leute Holz hacken. Der Kamin
und der Grill und die Sauna werden ja nicht von alleine warm. Und auch wenn ich
das Wort ‚warm‘ benutze – das ist das letzte Adjektiv, das mir zu diesem Abend
einfallen würde. Es ist Herbst, das machten uns die Temperaturen deutlich. Mit
etwas Wein klang der Tag aus.
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Karla hackt Holz. |
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Der Blick von unserem Balkon aus. |
Ich verpasste den
Sonnenaufgang über dem See Nirzas Ezers, das Bett war einfach zu warm. Gegen
acht Uhr sah man verschlafene Gestalten durch die Wiesen zum Frühstück stapfen.
Es bestand aus durchweg deftigen Sachen: hartgekochte Eier, dunkles und helles
Brot, Käse, Wurst, Gurke, Tomate und, ok, für jeden genau eine Banane. Die Deutschen
vermissten Marmelade oder Honig. Nach diesem Mahl pflückte sich jeder noch ein
bis vier Äpfel, dann kuschelten wir uns wieder in den Reisebus, es ging zum
Brotmuseum.
Um ehrlich zu sein, hatte ich etwas anderes erwartet. Das Brotmuseum besteht aus einem Haus,
das so eingerichtet ist, wie früher in dieser Region üblich. Und dort erklärte
uns eine traditionell gekleidete junge Frau etwas über das Leben früher, und
wie die Frauen hier früher Brot buken. Die Essenz des Vortrags war eigentlich,
dass Frauen mit ihren Brotbackfertigkeiten potenzielle Heiratskandidaten
beeindrucken mussten. Und wenn sie 100 Brotenden (Knuste, Knippchen, …) gegessen
hatten, würden sie den perfekten Mann finden – außer sie sähen zwischendurch
ein weißes Pferd. Skurril und konservativ, wenn ihr mich fragt.
Das Brotmuseum hatte aber auch etwas Erfreuliches, nämlich Essen. Man servierte
uns ein klassisches lettgallisches Mittagessen – Suppe, Kartoffeln, Pfifferlingsoße
(selbst gepflückt!), Schinken, Brot natürlich, Honig und Hüttenkäse. Die
letzten drei alle selbstgemacht. Und der Nachtisch! Hüttenkäse mit Honig in
einer Teigtasche, angebraten oder frittiert, und mit geschmolzenem Käse drüber.
Zumindest finde ich, dass es Käse war, andere meinen, es sei warme Apfelsoße
oder so gewesen. Jedenfalls war es sündhaft lecker.
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Wenn man Google traut, heißt die Nachspeise Klockas. |
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"Esst, bis ihr ein Bäuchlein habt!", sagte sie. Also taten wir das. |
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Die traditionelle (Brotback-) Küche. |
Zu Fuß liefen wir zur
Aglona Kirche. Dem Ort, an dem vor einer Woche der Papst gestanden hatte.
Nächster Stopp:
Velnezers. Überraschung, noch ein See! Ein ganz kleiner, niedlicher, mitten im
Wald. Hübsch.
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Karla und Truppe vor besagtem See. |
Als letztes kutschierten
sie uns nach Daugavpils, in eine gut erhaltene Festung, erbaut von Alexander I.
(Russland), welche das Mark Rothko Museum und sechs seiner Kunstwerke im
Original beherbergt. Er kam nämlich aus dieser Stadt. Eine Führung durch das Museum
machten wir alle brav mit. Aber eigentlich hatten wir nur Hunger und wollten
schlafen. Das taten wir dann auch, auf der dreistündigen Fahrt zurück nach
Riga.
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Ein flouriszierendes Pferd in der Festung, als Tribut an die beim Bau verstorbenen Pferde. |
~ Wort des Tages: "Zirga smaids". So hieß unsere Bleibe mit den Holzhütten und hat die tolle Bedeutung 'Pferdegrinsen' (horse's smile, um noch genauer zu sein).
Karla