Mittwoch, 19. September 2018

Wie ist es eigentlich an der Uni?

Karla hat kein Handy mehr, es wurde ihr gestohlen. Aber reden wir erst einmal über die Uni.


Offiziell begann die Vorlesungszeit schon vor zweieinhalb Wochen, am 03.09., aber meine Fächer fingen erst die Woche darauf an. Etwas Schonzeit. Und auch in dieser ersten Uniwoche hatte ich lediglich vier von acht Fächern. Information Technologies fiel aus, Business Psychology und Management of Cross-cultural Interaction beginnen irgendwann später, und dann gibt es noch ein Fach namens International Banking and Financial Markets, welches nur innerhalb der ersten Dezemberwoche stattfinden wird, dafür dann jeden Tag. Aber immerhin stehen bereits die Klausuren tages- und uhrzeitgenau fest.
Letzten Montag ging es um Punkt zehn Uhr los mit Financial Management and Risks. Der Prof, Dr. Ĉirjevskis, präsentiert alles in monotonem, stark russisch akzentuiertem Englisch, unterstützt von einer PowerPoint-Präsentation, welche uns mit weißem Text auf schwarzem Hintergrund beeindrucken möchte. Ich wiederhole: Weißer Text. Schwarzer Hintergrund. Aber obwohl ich diesen Mittfünfziger in Anzug nur schwerlich verstehe und die Aufmachung seiner Präsentation mit mangelhaft bewerten würde, ist er mir irgendwie sympathisch. Keiner weiß, worüber genau, aber ab und zu kichert er vor sich hin, weil er mal wieder eine besonders amüsante Rechnung ausgeführt oder einen ulkigen Zusammenhang im Finanzwesen entdeckt hat.

Die Vorlesungen finden hier quasi ausnahmslos in Doppelstunden statt, und eine Stunde dauert 1,5 Stunden. Dazwischen gönnt man den armen Studierenden zehn Minuten Pause, ein Mal mittags sogar eine halbe Stunde. Gottseidank habe ich ausschließlich donnerstags einen kompletten Unitag von 8:20 bis 16:50 Uhr.
Als ich an jenem Montag von Herrn Ĉirjevskis‘ Vorlesung weitertrabe zu Financial Accounting, wird mir langsam bewusst, wie unmenschlich kurz diese 10 Minuten Pause sind. Ļubova Borisenko hat ihren Unterricht – ich nenne es bewusst nicht Vorlesung, denn das ist es nicht – bereits angefangen, als ich mich durch die Tür quetsche und schnell in der letzten Reihe niederlasse. Der Raum bietet Platz für genau vier Tischreihen, vierundzwanzig Personen. Nicht zu vergleichen mit einer Vorlesung an der Uni Bamberg. Ich habe Hunger. Aber die Pause reicht nicht aus, um sowohl Essen zu kaufen, als es auch zu verspeisen.
Die Dozentin arbeitet als „Accountant“ in der Schweiz und ist entsprechend eingebildet. Mit schriller Stimme, aber immerhin verständlichem Englisch, lässt sie uns an ihrem Wissen über Buchführung teilhaben und fragt uns alle zwei Minuten ab. Es ist anstrengend. Ich bin froh, als es vorbei ist, und sie uns mit einem Berg Hausaufgaben entlässt. Ja, es herrscht nicht nur Anwesenheitspflicht, man muss auch Hausaufgaben machen. Ich fühle mich in die Schulzeit zurückversetzt.

Am Mittwoch begebe ich mich zu English for Business, lerne absolut gar nichts und beschließe, den Kurs zu wechseln. Im höheren Kurs war ich dann gestern. Selbe Dozentin, Jeļena, und obwohl sie irgendwie nett ist muss ich sagen, dass ihr Kurs der wahrscheinlich anstrengendste wird. Man muss eben akzeptieren, dass sie immer Recht hat und sonst niemand.

Kommen wir zu einem wirklich erfreulichen Fach. Der Prof, Jurijs Spiridonovs, hat mich bereits nach den ersten 15 Minuten davon überzeugt, dass European Union mein neues Lieblingsfach ist. Der Mann arbeitet als Berater für das lettische Finanzministerium, weiß genau, worüber er redet und gestaltet seine Veranstaltung sehr interaktiv, mit Fragestellungen, Gruppenarbeiten und Diskussionen. Ich habe das Gefühl, dass in diesem Kurs auch die meisten Nationalitäten vertreten sind. War ich bisher nur mit Letten, Russen und ein paar Deutschen in einem Raum, so besteht meine Gruppe hier aus Franzosen, Georgen und zwei anderen Nationalitäten, an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Und der Kurs ist vor allem eines: aktuell. Man merkt, dass Jurijs die Präsentation jedes Jahr erneuert, um die neuesten politischen Vorgänge mit einzubinden. So stehen uns zum Beispiel Diskussionen über den Brexit und die Flüchtlingskrise bevor.

Ich bin eine Sehenswürdigkeit!

So. Und jetzt zum Handy.
Am Sonntag machte sich eine Truppe fast nur Deutscher auf nach Sigulda. In Sigulda selbst gibt es nicht viel zu sehen, aber der Nationalpark drumherum und einige Burgen luden zum Wandern ein. Wir wanderten also zwischen Burgen und Höhlen umher, quälten uns endlose Stufen herauf und pflückten Äpfel im Auenland. Gerade hatten wir den Eintritt für die zweite Burg bezahlt, da fiel mir auf, dass mein treuer Gefährte Legolas – mein Handy – nicht mehr da war. Anrufen bestätigte uns – jemand hatte es ausgestellt. Nun ja, so habe ich auch einmal eine lettische Polizeistation von innen gesehen. Hätten wir das auch abgehakt. Legolas werde ich jedoch höchstwahrscheinlich nicht zurückbekommen, sodass ich mir nun das neue Shiftphone zu Weihnachten schenken werde. 


In der ersten Burg.


Die böse Burg, wo Legolas verschwand.

Falls ihr noch nicht wusstet, wie die lettische Flagge ausschaut.

Sigulda hat schon einen schicken Bahnhof.




~ Wort des Tages: Gibt es heute leider nicht. Mir fehlen die Worte. Sie wurden mir gestohlen.
(Wurden sie wirklich. Ich hatte eine Liste lettischer Worte auf meinem Handy.)

Karla

Sonntag, 9. September 2018

Sand statt Schnee. Und Schinkenkuchen.


Viele Menschen, wenig Platz. Wir treten ein durch einen Vorhang aus weißem Tüll, gold glitzernden Plastikstreifen und künstlichen Pflanzen. Es ist dunkel. Und doch leuchtet alles. Pflanzen, Stoffe und eine grell geschminkte Frau schieben sich in mein Blickfeld, alle hervorgehoben durch das herrschende Schwarzlicht. Dicht gedrängt schieben sich auch Menschen mit ihren Mateflaschen durch den „Urwald“. Wir bleiben stehen, beobachten die Frau. Die Performerin. Sie sitzt auf einem Liegestuhl und singt. Dann erzählt sie in melodischem Singsang von ihrer Arbeit. Sie schaltet Musik an und fordert zum Tanzen auf. Wer nicht tanzen möchte, der tue das eben nicht, wir seien ja alle eins und dadurch, dass sie tanze, tanzen wir eigentlich alle. Die Surrealität ist perfekt.


Karla war auf einem internationalen Kunst-Festival. Oder zumindest der Eröffnung davon. Es nennt sich survival kit, wird vom Goethe-Institut unterstützt und fand in einem alten steinernen Zirkus und dessen Stallungen statt. Eine tolle Lokalität! Die oben beschriebene Performance war nur eine von vielen, und daneben konnte man ausgestellte Kunstwerke bewundern und bis zwei Uhr nachts zu alternativer Musik tanzen.

Wie komme ich auf sowas? Ziemlich einfach – meine Mitbewohnerin hat dort mitgewirkt, mich deshalb eingeladen und mitgenommen.

Und was wollte uns diese Performance (namens „Stories for a Better Life, Their Story News from the Retrofuture”) eigentlich sagen? Also. Die Geschichte spielt in einer dystopischen Zukunft, in welcher die Reichen die Erde längst verlassen haben und nur noch die niedrigeren Klassen verbleiben. In dieser Welt hat sich die Frau (Sonja Khalecallon) ein Hotelimperium aufgebaut, das sie durch Multitasking komplett selbst leitet. Sie ist also gleichzeitig Managerin, Köchin, Unterhalterin, Putzfrau, …
Was uns das alles sagen soll, weiß ich aber trotzdem nicht. Ist halt Kunst.


Kommen wir zu einem lebensnäheren Thema: Strand.

„Was?“, denkt ihr euch. „Das ist doch das Baltikum. Lettland. Ich erwarte Schnee!“ 
Mit diesem Ansatz war ich auch hergekommen. Umso positiver überraschte mich der kilometerlange Sandstrand bei Temperaturen von über 20°C, nur eine halbe Stunde Bahnfahrt vom Rigaer Hauptbahnhof entfernt. Vergangenen Samstag erkundeten wir 200 Erasmusleute den touristischen Kurort Majori und den dazugehörigen Strand inklusive einer Reihe an Beachvolleyballfeldern. Gestern wandten wir uns eher gen Norden und taten dasselbe in dem Dorf Vecāķi, diesmal mit nur ca. 30 Leuten und noch mehr Beachvolleyball. 
Ich hatte nichts zum Essen dabei, da der Platz in meiner Tasche durch die Kamera eingenommen wurde. Man muss ja Prioritäten setzen. Zum Glück waren genügend organisierte Deutsche dabei, die alle genug Verpflegung für eine Kleinfamilie dabei hatten und gerne teilten.

Der Strand von Vecāķi.
Ein malerischer Müllcontainer am Meer.


Bescheidenes Strandhaus in Majori.

Majori I

Majori II

Bestgelegener Bahnhof!

Rugby oder so.



~ Wort des Tages: "Ŝķiņķi". Ja, ich weiß, was ihr denkt, und ich kann es auch nicht aussprechen. Das Wort bedeutet Schinken und anscheinend tun die Letten den in Gebäck hinein. Gut, dass ich diesen nach Möhrenkuchen aussehenden 'Pudiņŝ' letztens doch nicht gekauft habe.

Karla