Montag, 28. März 2016

In der Stadt des ewigen Frühlings

Guten Tag und frohe Ostern euch allen!


Die freien Tage vor Ostern (hier leider nur eine Woche) nutzten alle Freiwilligen zum Verreisen, viele bekamen auch Besuch aus Deutschland. Übrig blieben Johanna und ich, und so entschieden wir zwei Tage imVoraus, nach Medellín zu fahren. Das war eine sehr gute Entscheidung. Medellín ist eine große und moderne Stadt, die den Kampf gegen die Drogenkartelle gewonnen hat und nun als sicher und touristisch gilt. Das kann ich nur bestätigen. Tatsächlich überlege ich seit ein paar Tagen, ob ich nicht ein Semester lang dort studieren könnte.

Aussicht auf das grüne Medellín von der Metro-Station aus.

Wir fuhren über Nacht mit dem Bus, der zwar eine obligatorische Panne hatte und eine Stunde herumstand, aber das störte keinen, wir schliefen einfach weiter.
Morgens um zehn kamen wir in unserem Hostel an, dem Buddha Hostel. Der Name ist Programm. Es liegt in einer ruhigen, familiären und unglaublich grünen Wohngegend namens Laureles und ich habe mich sofort in dieses Viertel verliebt. Das Hostel hat einen gemütlichen Garten/Innenhof mit viel Grün, einem Koiteich und einer Hängematte. Außerdem macht einer der total gechillten Mitarbeiter manchmal einfach so Kaffee und verteilt den an die Gäste.

Wir waren begeistert. 


Gemeinsames Hobby: Cafés ausprobieren. Und Kaffee auch.

Medellín hat eine sehr gut ausgebaute morderne Metro (die über der Stadt verläuft), welche wir viel nutzten.


Nachdem wir uns in einem Café Frühstück gegönnt hatten und uns aufgefallen war, dass hier alle extrem sportlich herumlaufen, marschierten wir die zwanzig Minuten zur nächsten Metro-Station (die ruhige Lage hat ihren Preis) und fuhren ins Zentrum, um uns (spanischsprachige) Bücher zu kaufen. Diese lasen wir anschließend in dem Botanischen Garten Medellíns. Der Eintritt ist kostenlos und der Garten/Park wirklich einzigartig schön! In Deutschland könnte man so etwas nur unter einem gigantischen Gewächshaus finden, aber Medellín wird auch 'die Stadt des ewigen Frühlings' genannt, das bedeutet ganzjährige Temperaturen zwischen 18-28°C. Zwei Mal wurden wir von unserem gemütlichen Leseplatz direkt am See verscheucht. Zuerst wurden wir beinahe von einer pampelmusengroßen namenlos bleibenden Frucht erschlagen, die vom Baum fiel. Dann näherte sich auch noch ein riesiger Leguan. Das war Johanna zu viel. Wir nahmen Reißaus.

Leguane und exotische Früchte zusammen mit der Szenerie der dunkelgrünen Dschungelpflanzen fühlten sich fast nach Amazonas an und wir beide fanden es nicht mehr ganz so schlimm, nicht in den Südzipfel Kolumbiens zu reisen, wo man den richtigen Amazonasregenwald erleben kann.

Regenwald absolut.

Am Montag besuchten wir das Museum Antioquias, in dem man vor allem Skulpturen und Bilder des berühmten kolumbianischen Künstlers Fernando Botero bewundern kann. Beeindruckend fanden wir auch, wie viele der restlichen Ausstellungsgegenständen von Botero selbst gestiftet wurden.
Falls ihr Botero nicht kennt: das ist der, der immer diese dicken schwarzen Figuren gemacht hat. Und eine Affinität für minimalistische Namensgebung an den Tag legte. Sah man die Skulptur einer Frau, so hieß diese „La Mujer“. War es ein Mann, eben „El Hombre“. Das Bild einer kolumbianischen Familie, „La Familia Colombiana“. Stillleben mit Essen, „Naturaleza Muerta“. Auch interessant, dass Stillleben auf Spanisch 'Tote Natur' heißt. 


Fantastischer Innenhof des Museums.
Mein Favorit. Bin mir ziemlich sicher, dass es sich "El pájaro" nannte.



Nach so viel Kultur mussten Johanna und ich erst einmal wieder einen Kaffee trinken. Direkt am Plaza hatte man viel zu sehen, also hielt ich das selbstverständlich fotografisch fest. Bitteschön.

Auf dem Plaza (de Botero) findet man mindestens so viele Skulpturen wie im Museu.m


We all need sunglasses!

Der dritte Tag brachte einen Ausflug in Richtung eines Dorfes mit dem wohlklingenden Namen Guatapé mit sich. Wir stiegen jedoch kurz vorher aus dem Bus, um 'den Stein' zu erklimmen. 'Der Stein' heißt im Original natürlich „La Piedra“ und ist tatsächlich nichts weiter als ein 200m riesiger schwarzer Stein. Er sei durch einen Vulkanausbruch entstanden und heutzutage führen über 700 Treppenstufen auf das 22-Millionen-Kubikmeter-Monstrum. Witzig ist, wie überall schwer atmende Leute die Stufen blockieren und Pause machen. Nicht, dass wir nicht auch welche von ihnen gewesen wären.
Die Aussicht von ganz oben ist fan-tas-tisch. Ringsherum ein zerstückelter Fluss oder ein See, keine Ahnung, ist jedenfalls schön. Überall Wasser und kleine grüne Inselchen darin. Die beliebteste Beschäftigung der Menschen auf dem Berg ist, sich eine der unzähligen Villen unten auszusuchen.
Johanna und ich wissen jetzt natürlich auch schon, welche wir uns kaufen werden, wenn wir reich und berühmt sind.

La Piedra.
Der krasse Aufstieg.

Aussicht auf Guatapé
Und wieder runter.

Unser letzter Tag brach früh an, denn wir hatten uns für eine Pablo Escobar-Tour eingetragen. Medellín war nämlich seine Heimatstadt.
Noe ist Tourguide mit Taxi, und gemeinsam mit zwei Australiern kutschierte er uns drei Stunden lang quer durch seine Stadt und erzählte uns die Geschichte Escobars. Das allererste was er zu uns sagte war, dass er absolut nichts Positives über den Herrn erzählen würde, und daran hielt er sich auch. Zuerst ging es zu einem Bürogebäude mit dem Namen 'Dallas', das Pablo Escobar zur Demonstration seines Reichtums bauen ließ und welches momentan zu einem Hotel umfunktioniert wird. Man kann immer noch sehen, wo seine Feinde („Los Pepes“) eine Bombe platzierten, um ihm ein Zeichen zu senden. Sie wollten sagen 'Wir werden dich finden, und wir werden dich töten'. Genau das hatte Escobar nämlich auch mit ihnen vor, nachdem sie ehemals für ihn gearbeitet hatten. Normal bei den Drogenleuten.
Außerdem zu beachten: Der Name des Gebäudes. Wir alle kennen die Serie 'Dallas' wenigstens vom Hörensagen, es geht um eine reiche und einflussreiche Familie. Mit diesem Bürogebäude in einem der besten Viertel der Stadt wollte Pablo sich und seine Familie also auf eine Stufe mit der Serienfamilie Ewing stellen. 

Weiter ging es zu zwei Einkaufszentren. Die Geschichte dazu geht so: Ein paar 'gute' Männer wollten ein Einkaufszentrum für die Bewohner der Stadt bauen, denn so etwas gab es bis dahin in der Form noch nicht. Escobar bekam davon Wind und wollte Investor werden. Die Männer lehnten dankend ab, sie hätten bereits all das nötige Geld beisammen. Das konnte der Drogenbaron natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Was machte er also? Er baute sein eigenes Einkaufszentrum, aber größer und besser, und das direkt gegenüber des anderen. Wie ein eingeschnapptes Kind.
Glücklicherweise konnte er es nie fertigstellen, da ihm mitten im Bauprozess seine Gebäude und Bankkonten von der Regierung abgenommen wurden. Inzwischen hat diese das umstrittene Gebäude fertiggestellt, und es liegt immernoch gegenüber des ebenfalls fertiggestellten anderen Einkaufszentrums. Nun ist jedoch das andere größer, es wurde erweitert.

Das Taxi fuhr ein bisschen weiter, um uns an einen ruhigen religiösen Ort mitten an einer großen Straßenkreuzung zu bringen. Hier hatte die Stadt eine Statue der Jungfrau Maria gebaut, damit die (natürlich katholischen) Bewohner einen Ort zum Beten und zur Darbringung ihres Dankes hatten. Es war und ist nämlich üblich, eine kleine Steintafel mit einem Satz des Dankes dort zu lassen. Etwas wie „Danke Maria, dass du unsere Gebete erhört hast“.
Nun befand sich diese Statue ganz in der Nähe der Wohngegend der tatsächlich sehr gläubigen Schergen Escobars. Sie kamen also ebenfalls des Öfteren vorbei, beteten und bedankten sich mit einer Steintafel. Bloß stand auf diesen Tafeln denkbar Krasses drauf, bedenkt man, womit sie ihr Brot machten, und schon bald kamen die 'normalen' Leute nicht mehr an diesen Ort. Für über zehn Jahre war der eigentlich für alle gedachte heilige Ort eine Demonstration des Denkens und Handelns der verrückten Handlanger und Helfershelfer.
Erst nach langer Zeit entfernte man die entwürdigenden Tafeln und ließ einen Pastor erneut einen Segen sprechen. Heutzutage ist der kleine Platz wieder ein Ort friedlicher Stille mitten im Stadttrubel.



Das für mich Beeindruckendste zeigte uns Noe danach. Im besten Viertel Medellíns liegt der exklusivsten „Social Club“ (ich bin ja gegen Anglizismen, aber Freizeitgruppe trifft es irgendwie nicht) der Stadt. In diesem wollte Pablo Escobar unbedingt Mitglied werden. Aus nicht ganz unverständlichen Gründen wollte der Club das jedoch nicht. Was machte Pablo also? Er baute sich ein riesiges Wohnhaus gegenüber des Clubs. Es hatte fünf Stockwerke, zwei Pools, ein Basketballfeld und vor allem seinen Namen vorne drauf gepinselt, sodass alle Clubbesucher ihn unvermeidlich immer vor Augen hatten. Er nannte seinen neuen Wohnsitz 'Monaco'.
Unserem kleinen Grüppchen wurde das Privileg zuteil, das verlassene Haus erkunden zu dürfen. Im Erdgeschoss (Keller gibt es hier meistens nicht) befand sich das Parkhaus für ein paar von Pablos 45 Autos. Auch seine 23 Fahrräder fanden wohl dort Platz.

Pablo Escobars Haus. Ich finde es nicht besonders hübsch, aber damals war das so wohl modern.
Eingang.
Riesige private Garage.

Die erste Etage diente als Unterkunft für seine Bodyguards, in der zweiten befand sich seine Kunstsammlung (eine ganze Etage nur für Kunst!), auf der dritten wohnte seine Familie, wenn sie ihn ab und zu besuchen kam und die zwei oberen Geschosse gehörten Escobar selbst. Da oben befand sich auf der Terrasse ein Pool. Die Küche fiel recht klein aus, und Noe erklärte uns auch sofort, warum. Fast jede Mahlzeit wurde aus den nobelsten Restaurants angeliefert, da brauchte man die Küche eher wenig. Im nächsten Zimmer durften wir auch den (inzwischen leider leeren) Safe bewundern. Dieser war so riesig wie ein kleines Zimmer und angeblich bewahrte Escobar dort ausschließlich Gold und Diamanten auf. Wer hat, der hat halt.

Bewohnbarer Safe.

Aussicht auf den Club.

Ursprünglich bestand der Boden des gesamten Gebäudes aus purem Marmor, ebenso wie die Wandverkleidung der zahlreichen Bädern. Doch in den viele Jahren der Verlassenheit ist von alledem nicht viel übrig geblieben. Zuerst schickte die Regierung Suchtrupps durch alle Stockwerke, um die versteckten Reichtümer des Hochkriminellen aufzustöbern. Entsprechend sieht das Haus auch heute aus, überall klafften uns Löcher aus Wänden und Decke entgegen und vom Mobiliar ist nicht das kleinste Höckerchen übrig. Denn nach dem Staat kam die Bevölkerung und bereicherte sich an dem, was von den staatlichen Truppen verschont worden war. Deshalb fehlen an den meisten Stellen die wertvollen Bodenfliesen. Noe erzählte uns das mit einem beschämten Ausdruck auf dem gutmütigen Gesicht. Es sei ihm peinlich, dass die Bürger 'seiner' Stadt sich zu so etwas hinreißen ließen.
Aber ganz ehrlich, kann man es ihnen übel nehmen?


Das Haus war definitiv das Highlight unserer Tour.
Wir bekamen außerdem den Eindruck, dass der Mann alle seine Probleme mit dem Bauen von großen Gebäuden lösen wollte. Sein Gefängnis durfte er sich ja auch selber bauen.

Im Anschluss an das Haus „Monaco“ besuchten wir noch kurz den Friedhof, auf dem Escobar und ein Teil seiner Familie liegen (seine Frau und Kinder führen ein unbeschwertes Leben in Argentinien), und schlossen dort ab, wo eine bewaffnete Einheit seinem Leben ein Ende machte.
Das war so: Pablo wurde verfolgt. Er versteckte sich einige Wochen in einem unscheinbaren Häuschen in einem schönen ruhigen Wohnviertel. Keiner der Bewohner wusste überhaupt von seiner Anwesenheit. Bis er an dem Tag, der sein letzter sein sollte, zwei Fehler begang – er rief seinen Sohn an. Zwei Mal. Dies war mehr als genug, um ihn genau orten zu können und sofort war das Haus komplett umstellt und auch ein Helikopter kreiste darüber. In einem verzweifelten Fluchtversuch kletterte er auf das Dach des Häuschens, sprang auf das nächste und wollte wohl von dort auf die Straße. Da waren natürlich schon Soldaten. Also versuchte er, auf das nächste Haus zu springen. Dort kam er nie an.
Zu diesem Szenario gibt übrigens es ein sehr berühmtes Bild von Botero, welches Johanna und ich natürlich auch im Museum gesehen haben. 

Das Ende Escobars.

Wie man vielleicht an der Länge dieser Beschreibung unserer Tour merkt, haben mich diese drei Stunden sehr beeindruckt. Jedoch ist Pablo Escobar heutzutage eine Figur der Vergangenheit und im alltäglichen Leben des Durchschnittskolumbianers spielt er keine Rolle.
Nur in den Vorurteilen unwissender Ausländer*innen.

Johanna und ich rundeten den Tag mit ordentlichem Geldrausschmeißen in einem riesigen Einkaufszentrum ab. Nachts ging es dann im Bus zurück nach Bogotá, morgens nach Tunja und für mich weiter nach Cucaita.
Heute geht die Schule wieder los.



~ Wort des Tages: „echaopalante“. Findet man in keinem Wörterbuch, da es eine Verschmelzung der drei Wörter „echado para adelante“ ist. Wörtlich will uns das sagen, dass jemand 'für voraus gemacht' ist. Also fleißig, arbeitsam.

Hasta luego,
Karla

1 Kommentar:

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