Freitag, 24. Mai 2019

Ostern und Lappland - der Text


Ostern in Lettland
An Ostersonntag saßen Anete und ich geteilten Leides in einem Café und schrieben Essays. Anete ist eine meiner lettischen Mitbewohnerinnen und die einzige, die für die Ostertage nicht zu ihren Eltern nach Hause gefahren war. Sie hatte das bereits im Vorhinein erledigt und zwei gefüllte Eierkartons mitgebracht. So saßen wir abends in der Küche und veranstalteten unsere eigene kleine Osterfeier: Wir kochten und färbten vier Eier, ließen sie gegeneinander antreten und aßen sie anschließend auf. Die Letten färben noch ganz naturverbunden, ohne gekauftes Chemiezeugs. Mit Blättern und Blüten werden Formen auf die Eier projiziert. Wie? Indem diese mit dünnen Stofftüchern auf den Eiern festgebunden werden. Der nächste Schritt ist das Kochen in farbigem Wasser. Wie wird das Wasser farbig? Mit Zwiebelschalen! Eigentlich sammelt man monatelang die übriggebliebenen Zwiebelschalen, sodass ein richtig schön färbender Sud entsteht – mangels dessen wurde unsere Eier nicht ganz so beeindruckend. Trotzdem konnten wir beim Auspacken Muster entdecken.
Es folgte der Eierkampf: Dazu wählt jede Person einen Kandidaten (=ein Ei). Die Kandidaten treten gegeneinander an, indem die Teilnehmer sie einfach aufeinander hauen. Überlebendes Ei = gewinnendes Ei.
Das anschließende Aufessen bedarf nicht viel Erklärung. Nur einer: Es ist wichtig, dass das Ei mit Salz gegessen wird, sonst folgt Unglück bis zum nächsten Osterfest.
Ich war und bin begeistert von der hiesigen naturverbundenen Art, Eier zu färben. Keine unnötige Verschwendung, stattdessen Wiederverwertung von Ressourcen.

Eierfärben: Start.
Ostereier einpacken und Weißwein.
In Zwiebelsud kochen.
Das Endergebnis (mit mehr Zwiebeln wären sie röter geworden).

9. Mai
Die Russen feiern ihn, die Letten nicht. Am 9. Mai konnte man deutlicher als sonst die russischstämmige von der lettischen Bevölkerung unterscheiden. Auf Uzvaras bulvāris (Übersetzung: Triumph-Boulevard) reihten sich die Blumenstände, sie alle verkauften rote und weiße Blumen. Sie feiern den Tag, an dem die Sowjetunion den Sieg über das Deutsche Reich errang. Bloß, dass es hier eher wirkt, wie eine Feier des Russischseins an sich. Meine lettischen Mitbewohnerinnen verstehen das Trara nicht: „Es wird nur als Vorwand für einen weiteren Tag des Feierns genommen. Die meisten hier haben doch keine Ahnung mehr vom Krieg.“ Für Letten markiert der 9. Mai lediglich den Wechsel einer Okkupationsmacht zur nächsten. Nichts, das man feiern würde.

Kurze Erzählung zu Lappland
Am Montag, den 4. März, um ein Uhr morgens, ging es los. Oh ja: ein Uhr morgens. Ich hatte einen stinknormalen Reisebus erwartet, fand mich aber zum Unbehagen meines Rückens in einem 20-Personen-Minibus wieder. In solchen Dingern bin ich in Kolumbien vielleicht mal von Tunja nach Cucaita gefahren (17 km). Jetzt also von Lettland in den Norden Finnlands (1200 km). Der Bus war bis auf den letzten Platz belegt – 100 % Kapazitätsauslastung, ein betriebswirtschaftlicher Traum. Um zu meinem Platz ganz ganz hinten zu gelangen, durfte ich meine Bergziegenfähigkeiten auspacken und über Hügel aus Gepäck und Proviant klettern. Einen wirklichen Kofferraum gab es nämlich nicht, und die 16 Spanier hatten gepackt wie für eine Antarktisexpedi… Wobei, das war ja angemessen.
Los ging’s, jetzt aber wirklich. Nach Tallinn. Um sechs Uhr morgens nahmen wir von dort die Fähre nach Helsinki. Und dann hatten wir erst einmal den ganzen Tag Zeit, Helsinki zu erkunden. Ich fand die Stadt recht enttäuschend – von so einem coolen Namen hätte ich einen spannenderen Auftritt erwartet. Ich lief mit zwei Französinnen und einer Italienerin herum und guckte mir die drei sehenswürdigen Sehenswürdigkeiten an, die Helsinki eben hat. Ich muss zu der Stadt anmerken, dass wir wirklich unangenehmes Wetter hatten. Im Sommer macht Helsinki bestimmt einen schöneren und lebhafteren Eindruck.
Völlig fertig saßen wir abends wieder im Büsschen. Wir fuhren die Nacht durch in den Norden.
In der Nähe von Rovaniemi (Lapplands Hauptstadt) machten wir am Dienstagmorgen den ersten großen Halt: Santa Claus Village erwartete uns. Ein wunderhübsches Winterdörfchen, das aber nur für die Touristen existiert. Alles hier kostet Geld. Rentierschlitten fahren, ein Foto mit dem „echten“ Santa Claus machen, Stempel im Reisepass, Rentierburger essen, Andenken kaufen, Karten vom Weihnachtsmann verschicken. Nett anzusehen, aber nicht so meins.
Am Nachmittag kamen wir endlich bei unserer Hütte an. Hütte ist schon fast degradierend, es war ein wirklich tolles Haus. Zwei Saunen, zwei Grills, ein großer Gemeinschaftsraum, eine riesige Küche – aber nur eineinhalb Bäder. Für 20 Personen. Sehr positiv gedacht.
Nach ein paar Minütchen des Ausruhens stapfte ich mit zwei anderen los, durch ein Meter hohen Schnee – was viel schwieriger auszuführen ist, als es sich sagt – um den Sonnenuntergang mitzukriegen. Den Rest des Abends waren wir zu nichts mehr zu gebrauchen. Wir suchten noch nicht einmal nach den Nordlichtern.


Mittwoch. In Kuusamo, das ein Dorf sein soll, aber auch nur aus einer Handvoll Häusern besteht, mieteten sich die Spanier Schneemobile und ich Skier. Zu viert probierten wir uns im Langlauf. Mir wurde zum ersten Mal wieder warm! Super Gefühl. Warme Hände! Und die Landschaft war auch sehr entspannend – Bäume, Schnee, Stille.
Abends grillten wir bei -12°C, was super kuschelig war, nur der idealen Trinktemperatur des Weins Abbruch tat. Diese Nacht machten wir uns auf die Suche nach den Nordlichtern. Wir fanden sie nicht. Der Himmel war zwar wolkenlos, aber die berühmten Lichter zeigten sich nur bei langer Belichtung auf der Kamera. Das zählt nicht.

Langlauf mit Alessia.
Sommerliche Grillstimmung.
Donnerstag. Die gesamte Gruppe schnürte sich Schneeschuhe an und watschelte geräuschvoll durch den Korouma Nationalpark. Die Gegend war wirklich wunderschön; die Morgensonne malte Streifen auf die unberührte Schneedecke und es herrschte friedliche Stille. Jedenfalls bis unsere Truppe heranrollte. Die Schneeschuhe waren zwar mal witzig auszuprobieren, aber keinesfalls nötig. Ohne wäre es idyllischer gewesen. Auf der der zweistündigen Wanderung sahen wir zwei gefrorenen Wasserfälle, an denen sich ein paar Kletterer versuchten.
Des Nachts versuchten wir unser Glück ein letztes Mal mit den Nordlichtern, dem Aurora borealis, dem Polarlicht. Vergebens. Unser französisch-italienisch-deutsches Quartett lief die dunkelste, unbeleuchtetste Straße ganz weit runter und starrte bestimmt eine Stunde lang in den Himmel. Ein paar helle Schlieren zeigten sich am Himmel, aber das war’s. Dann muss ich eben noch einmal zurückkommen und die Lichter besuchen.

Korouma Nationalpark.
Karla, Nationalpark, Schneeschuhe.
Freitag. Aufbruch. Wir verließen unsere lieb gewonnene Hütte und fuhren zu einer Huskyfarm. Überall Hunde! Mit der Italienerin Alessia zusammen fand ich mich in einem Schlitten wieder, und los ging’s. Die Huskys können sehr schnell werden, aber wir hatten anscheinend die gemütlichsten Exemplare erwischt. Dafür schauten sie sich immer wieder zu uns um und versicherten sich, dass wir noch da waren und es uns gut ging. Die Besitzerin all dieser (~80) Hunde lud uns danach auf eine Tasse Glögg in ein Zelt ein. Gestärkt begaben wir uns wieder in das Büsschen, machten abends Halt bei dem nördlichsten McDonalds der Welt in Rovaniemi, und fuhren mal wieder die Nacht durch, nach Helsinki. Übermüdet auf Fähre nach Tallinn. Tag in Tallinn, aber da Karla müde war und Tallin schon kannte, chillte sie hauptsächlich in Restaurants und Cafés. Um 17:00 wieder losfahren. Irgendwann spätabends Ankunft in Riga.
Bett.


Karla sitzt im Huskyschlitten.
Karla und Alessia im/auf dem Huskyschlitten.

~ Wort des Tages: „nākodne ir tagad“. Den Ausdruck hört man heute besonders oft, weil heute Freitag ist. Er wird auf dem Fridays for Future Streik gerufen. Bedeutung: „Die Zukunft ist jetzt“.

Karla

Rennende Rentiere zum Abschluss.

2 Kommentare:

  1. Danke für die anschauliche Schilderung der Nord-Fahrt! Muss ich mir unbedingt nochmals im Juli/August durchlesen, wenn Abkühlung Not tut! Bleibt nur die Frage: Was ist Glögg? Mama

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    1. Glögg ist ein bisschen wie Glühwein. Wir haben aber die antialkoholische Version getrunken, die aus schwarzem Johannisbeersaft mit weihnachtlichen Gewürzen besteht.

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Ich freue mich immer ueber Kommentare.